Humboldt-Universität zu Berlin - Zentrum für Transdisziplinäre Geschlechterstudien

Abstracts

Feministische Visionen vor/nach 1989 – Einmischen, Gestalten, Provozieren


30 Jahre institutionalisierte Frauen- und Geschlechterforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin

 

Freitag, 29. November 2019

 

 

Eröffnungsvortrag

9:15, Senatssaal, Hauptgebäude

 

Prof. Dr. Ulrike E. Auga (Université de Lausanne)

Das soziale Imaginäre der Friedlichen Revolution von 1989. Geschlecht – Religion – Handlungsmacht

 

Der Feminismus des Ostens ist häufig nicht sichtbar und wird oft missverstanden. Frauen* widerstanden in der DDR weitläufig binären geschlechtlichen Rollenzuschreibungen. Durch eigenes Einkommen besaßen sie eine andere Handlungsmacht. Das Erreichen einer liberalen Schwangerschaftsabbruchsregelung ermöglichte biopolitisch größere Selbstbestimmung. Die Gesellschaft war weniger wettbewerbsorientiert. Körper waren weniger sexualisiert. Trotz gesetzlicher Gleichberechtigung blieb eine Hierarchie in der epistemischen Ordnung bestehen, gegen die Feminist*innen kämpften. Viele Feminist*innen zielten nicht nur auf eine Überwindung einer hierarchischen Geschlechterordnung, sondern auf gesamtgesellschaftliche Veränderungen hin zu einer solidarischen Gesellschaft mit einem gerechten Wirtschaftssystem, einer Überwindung von epistemischer, souveräner und ökonomischer Gewalt. Das Ziel wurde mit dem Anschluss der DDR an die BRD noch nicht erreicht. 

Gegenwärtig steht die Welt vor einer Krise sozialer, politischer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit. Es wird eine „radikale Demokratie“ (Butler, Laclau und Žižek, Mouffe) oder „tiefe Demokratie“ (Appadurai) gefordert. Protestbewegungen, die in den letzten Jahren erschienen, unterstreichen, dass die sozialen Konsequenzen des neoliberalen Empires neue Widerstände und neue Visionen von Solidarität erfordern.

Viele der neuen Widerstandsbewegungen wie beispielsweise Occupy verstehen sich in der Tradition der dissidentischen Bewegungen in den osteuropäischen Ländern. Die Beziehung zwischen dem Protest in den osteuropäischen, sozialistischen Ländern und diesen aktuellen Protestbewegungen wird jedoch selten untersucht.

Hier soll dieses unter der Frage feministischer Visionen mit Hilfe gender/queerer, postkolonialer und postsäkularer Theorie diskutiert werden. Ausgangspunkt ist die Würdigung individueller Erfahrungen, aus denen sich diverse epistemologische und politische Perspektiven ergeben können.

Die Visionen neuer Gemeinschaftlichkeiten sind unterschiedlich. Das ist eine Herausforderung, die bei den aktuellen politischen Aufständen weiterhin vorhanden ist. Zahlreiche zielten auf eine Gesellschaft mit größerer Solidarität, die über den „tatsächlich existierenden Sozialismus“ der Planwirtschaft, aber auch über den Kapitalismus und die „begrenzte Demokratie“ (Lefort) des Westens hinausgeht. Das Erreichen einer gerechteren Gesellschaft für alle, nicht der gesteigerte Konsum von Gütern, stand im Mittelpunkt vieler Lebensphilosophien. Es besteht ein grundlegender Unterschied zwischen der diktierten kommunistischen Zukunft und der Vision der Friedlichen Revolution. Ersteres ist eine geschlossene, vorgeschriebene Idee des Sozialismus/ Kommunismus, während die Vision von Teilen der Dissidenz ein offener Beitrag zum radikalen sozialen Imaginären ist.

Feministische postkoloniale Theorie überholt bestimmte Repräsentationsvorstellungen und fokussiert Subjektformation, Handlungsmacht und menschliches Blühen. Individuelle und kollektive Handlungsmacht wurden in Visionen vor 1989 stark zusammen gedacht. In einer postsäkularen Geste waren überraschende Allianzen für gemeinsame politische Ziele zwischen glaubensbasierten und säkularen Personen möglich. Religion wird als diskursive intersektionale Kategorie verstanden. Sie bleibt nicht nur gewaltvoll, sondern kann einen Beitrag zum gesellschaftlichen Imaginären leisten (Auga). Radikale queer-theoretische Ansätze (Muñoz, Ferguson) sind auf eine offene gerechte Gesellschaft ausgerichtet. Die Friedliche Revolution vor 30 Jahren kann Anregendes zur Debatte beitragen.

 

Kurzbiographie

Prof. Dr. Ulrike E. Auga, geboren und lebend in Ost-Berlin, ist Geschlechterforscherin, Kultur- und Religionswissenschaftlerin. Sie arbeitet als Professorin am Intersectional Centre for Inclusion and Social Justice (INCISE) an der Canterbury Christ Church University, UK und ist assoziiertes Mitglied am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der HU zu Berlin. Sie gewann ihre postkoloniale und postsäkulare Perspektive durch mehrjährige Aufenthalte in Johannesburg, Bamako und Jerusalem. Sie ist Präsidentin der International Association for the Study of Religion and Gender (IARG). Sie war Aktivistin der Friedlichen Revolution in der DDR.

www.ulrikeauga.com

                                                                                                                        

Wirken an der HU:

2008-16 Juniorprofessur Religionswissenschaft und Geschlechter Studien, HU zu Berlin

2016-17 Gastprofessur für Gender, Diversity und Kulturwissenschaft, HU zu Berlin

2016-17 Humboldt-Princeton-Strategic-Partnership Preis in Gender and Sexuality Studies

Weitere Gastprofessuren und Preise:

2013-14 Gastprofessur, Bonhoeffer-Stiftungspreis, Columbia University, New York

2015-16 Forschungspreis Templeton/ NASA „Soziale Implikationen außerirdischen Lebens“, Projekt „Geschlecht, Race, Religion und Visualität in Weltraumbildern“, CTI Princeton

2017 Käthe-Leichter-Preis Gastprofessur für Geschlechterforschung, Universität Wien

2017/18 Gastprofessur für Gender Studies, Paris-Lodron-Universität Salzburg

2019 Mary-Douglas-Preis für Religionswissenschaft, Université de Lausanne

Forschungsschwerpunkte: Geschlecht, Sexualität, Religion; kulturelles Gedächtnis; Nationalismen, Fundamentalismen in Transitionskontexten (Südafrika, Westafrika, DDR/D); Geschlecht, Performativität und Agency im visuellen Archiv; postkoloniale, postsäkulare, gender/queere Theorieentwicklung; posthumane Epistemologie

 

 

Panel 1

Ostdeutsche: Fremd- und Selbst-Zuschreibungen

10:30, Senatssaal, Hauptgebäude

 

Prof. Dr. Hildegard Maria Nickel (Humboldt-Universität zu Berlin)

Ostfrauen – Fakten und Mythen

 

Wer ist gemeint, wenn heute – 30 Jahre nach dem Fall der Mauer – von Ostfrauen die Rede ist? Welche Rolle spielen Erzählungen über die und Erfahrungen mit der DDR-Geschichte für die gegenwärtige Konstruktion der Ost-Frau? Was können aktuelle Daten und Befunde über faktische Unterschiede und Annäherungen von Ost und West sagen?

Der Beitrag plädiert für einen kritischen und differenzierten Blick auf die Herstellung von identitätsstiftenden Gemeinschaftsvorstellungen, Zuschreibungen, die aus ihrem zeitgebundenen Kontext herausgelöst und auf eine überzeitliche Ebene gehoben werden. Die unterstellte Kohärenz der Welterfahrung von Ostfrauen ist genauso zu problematisieren wie an einer reflektierten Geschichtsaneignung festzuhalten ist.    

 

Kurzbiographie

Hildegard Maria Nickel, geb. 1948, ist Professorin a. D. für Soziologie der Arbeit und Geschlechterverhältnisse an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie ist Mitbegründerin und war langjährige Sprecherin des Zentrums für interdisziplinäre Frauenforschung (heute: Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien) an der Humboldt-Universität zu Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Konsequenzen gesellschaftlicher und betrieblicher Transformations-prozesse auf den Wandel von Geschlechterverhältnissen; organisationssoziologische Studien im Bankensektor und bei der Deutschen Bahn AG. Jüngste Veröffentlichung: Nickel/ Hüning/ Frey/ Lill (2019) Partizipation und Reproduktion. Fach- und Führungskräfte als arbeits- und geschlechterpolitische Akteure der Deutschen Bahn AG, Hans-Böckler-Stiftung, Working Paper Forschungsförderung Nummer 153, August 2019

 

 

Prof. Dr. Sylka Scholz (Friedrich-Schiller-Universität Jena)

Der Ostmann – das unbekannte Wesen

 

Während die Ostfrau in den vergangenen 30 Jahren sehr gründlich beforscht wurde, richtete sich der Blick nur selten auf den Ostmann. Gleich nach der politischen Wende wurde ihm in den Medien und von der westdeutschen Männerforschung bescheinigt, dass er besonders traditionell sei (obwohl er doch an der Seite der ostdeutschen Frau lebte, der ein Emanzipationsvorsprung wissenschaftlich bescheinigt wurde) und die Erfolge der westdeutschen Männerbewegung gefährden würde. 30 Jahre später ist vom Ostmann medial erneut unter negativen Vorzeichen die Rede: Der Ostmann sei rechtspopulistisch, ja sogar rechtsextrem und gewalttätig, dies zeige sich ja an den hohen Wahlerfolgen der AFD. In dem Vortrag wende ich mich den medialen Konstruktionen über den „braunen Ostmann“ zu und gehe mit Hilfe der wenigen vorliegenden Studien auf Spurensuche. Wie haben ostdeutsche Männer die Umbrüche im Erwerbssystem von einer klassischen Industriegesellschaft hin zu einer neoliberalen Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft biografisch verarbeitet. Welche Unterschiede zeigen sich zwischen den Generationen und Milieus? Wie rechtsradikal sind ostdeutsche Männer? Gibt es eine „Generation Hoyerswerda“? Mein Blick richtet sich auch auf Familie und Vaterschaft: Bereits zu DDR-Zeiten waren Männer involvierte Väter, zwar beteiligten sie sich ebenso ungern an der Hausarbeit wie westdeutsche Männer, doch waren sie in der Kinderbetreuung stärker engagiert. Studien belegen, dass sich in Ostdeutschland der Typus des selbstverständlich-pragmatischen Vaters auch in den jüngeren Generationen über die Milieugrenzen hinweg fortschreibt. Doch der neue/aktive/involvierte Vater in den Medien ist (bürgerlich) westdeutsch – ein Resultat der bürgerlich-westdeutschen Diskurshegemonie. Diskutiert wird, wie sich der Blick auf die in Ostdeutschland lebenden Männer wissenschaftlich weiten kann.

 

Kurzbiographie

Sylka Scholz ist seit 2014 Professorin für Qualitative Methoden und Mikrosoziologie am Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Sie erlernte in der DDR den Beruf einer Fachverkäuferin und absolvierte ein Fachschulstudium. Nach der politischen Wende studierte sie an der Humboldt-Universität Berlin Kulturwissenschaft und Soziologie und schlug anschließend eine akademische Laufbahn ein. Sie forscht in den Bereichen Geschlechtersoziologie und Familiensoziologie mit unterschiedlichen qualitativen Methoden. Einen wichtigen Schwerpunkt bildet die Männlichkeitsforschung. So promovierte sie mit einer biografischen Studie über die Folgen des Umbruchs des Erwerbssystems für die Identitäten ostdeutscher Männer (Männlichkeit erzählen. Lebensgeschichtliche Identitätskonstruktionen ostdeutscher Männer, Münster 2004). Systematisch erforschte sie die Transformation von Männlichkeiten in den vergangenen dreißig Jahren in einem ost-west-deutschen Vergleich (Männlichkeitssoziologie. Studien aus den sozialen Feldern Arbeit, Politik und Militär im vereinten Deutschland Münster 2012). Dabei spielt auch die Analyse der osteuropäischen Geschlechterverhältnisse eine wichtige Rolle (Postsozialistische Männlichkeiten in einer globalisierten Welt, Münster 2008). Ihre neueste Publikation widmet sich dem Thema Caring Masculinities? Männlichkeiten in der Transformation in kapitalistischen Wachstumsgesellschaften (München 2019, mit Andreas Heilmann).

 

 

12:00, Senatssaal, Hauptgebäude

 

Kathleen Heft (DeZIM-Institut, Berlin)

Die Ossifizierung der Kindsmörderin in den Medien

 

Der Vortrag widmet sich dem medial-öffentlichen Kindsmord-Diskurs der 2000er und 2010er Jahre und betrachtet ihn als Arena für die Re/Produktion vergeschlechtlichter Ost-West-Differenz. Dafür zeichnet er nach, wie die tötende Mutter zunehmend als Phänomen und Problem Ostdeutschlands verstanden und als Relikt und Spätschaden der DDR verhandelt wurde. Dabei fragt der Vortrag auch nach den Subjektpositionen und Zugehörigkeiten, die durch diese spezifische Verknüpfung von Geschlechterwissen mit Diskursen über den Osten Deutschlands hervorgebracht oder verhindert wurden. Im Anschluss an diskursanalytische Perspektiven der postkolonialen Theorie wird der medial-öffentliche Kindsmord-Diskurs dieser Jahre als eine Form der Kulturalisierung von Kindsmord verstanden, durch die der Osten ‚ossifiziert‘ und zum Anderen einer westdeutschen Norm und Normalität gemacht wird.

 

Kurzbiographie

Kathleen Heft ist Kulturwissenschaftlerin und promovierte im Graduiertenkolleg „Geschlecht als Wissenskategorie“ der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie war in der ‚Toolbox Gender und Diversity in der Lehre‘ der Freien Universität Berlin tätig und forscht zurzeit am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM-Institut) zu Ostdeutschen und Menschen mit Migrationsgeschichte in bundesdeutschen Eliten. Ihre Dissertation „Kindsmord in den Medien“ erscheint im Dezember 2019 bei Budrich Academic Press.

 

 

Dr. Judith C. Enders (perspektive3)

Transformationsprozesse und Auswirkungen auf Geschlechterarrangements – zur Wertorientierung von Frauen der Dritten Generation Ostdeutschland

 

Es ist bekannt, dass sich die Situation der Frauen nach 1945 in Ost und West unterschiedlich entwickelt hat. Es gibt verschiedene Frauen- und Männerbilder, es gibt andere Ansichten zur Mutterschaft und zur Erwerbstätigkeit von Frauen, es gibt ein differenziertes Verständnis von Ehe und Familie, es gab im Westen eine Frauenbewegung, im Osten ist man/frau sich in dem Punkt nicht ganz sicher, es gibt andere (Frauen-)Vorbilder (vgl. Enders 2009) und andere Ansichten zu der Rolle von Frauen in Führungspositionen, es gibt ein unterschiedliches Selbstverständnis von Frauen in der Politik. All diese Aspekte sind mehr oder weniger ausführlich diskutiert und untersucht worden (vgl. Helwig/Nickel 1993). Doch was ist mit den Frauen, die in Ostdeutschland geboren worden sind, aber zur Zeit der Wende in Deutschland Kinder oder Jugendliche waren. Frauen, die im Osten als Mädchen sozialisiert worden sind und als junge Frauen im vereinigten Deutschland erste Ausbildungs- und Berufserfahrungen machten, Frauen und Männer mit „Westsozialisation“ kennen und vielleicht auch lieben lernten, sich an das bundesrepublikanische Frauenbild anpassen oder dem widersprechen lernten, westdeutsche Feministinnen und Chefs oder andere männliche Autoritäten kennen lernten und selbst ein eigenes Rollenbild finden mussten?

Dies alles vor dem Hintergrund, dass ihnen ihre Mütter ein ostdeutsches Rollenbild vorgelebt hatten, die Eltern generell in ihren „besten Jahren“ von einer starken Verunsicherung, zum Teil von einer Lebenskrise durch die Umbrüche von 1989 ergriffen worden waren, sowie alte Sozial- und Familienmuster und Gesellschaftsstrukturen sich auflösten.

Was zeichnet also die Frauen dieser Generation aus, die so viele Umbrüche in der wichtigen Phase der Adoleszenz erlebten und genau in dieser Lebensphase mit unterschiedlichen Geschlechterbildern und Rollenerwartungen konfrontiert wurden?

Alles in allem eine Zeit voller Veränderungen und Verunsicherungen, in die die Mädchen und jungen Frauen in der wichtigen Phase der (weiblichen) Identitätsbildung hineingeraten. Ist es also ein Zufall, dass gerade die Frauen eine wichtigere Rolle bei der Abwanderung aus den neuen Bundesländern und den Problemen des demographischen Wandels spielen? Oder lauert hier schon eine neue Form der Zuschreibung von „Schuld und Verantwortung“ auf das „Weibliche“? Am Ende sind die Frauen der „Dritten Generation Ostdeutschlands“ die Ursache für das „Aussterben“ der ostdeutschen Bundesländer? Junge gutausgebildete Frauen werden zur Zielgruppe von Rückwanderungsaufrufen und -aktionen, um als Korrektiv für verwahrloste Strukturen herzuhalten (vgl. Enders/ Nickel/ Schulze 2012).

So ist die Rolle der Frau, insbesondere jüngerer Frauen, auch in der Forschung zu Ostdeutschland und zum demografischen Wandel verortet. Junge Frauen in Ostdeutschland sind durch ihre weitgehend berufstätige Mütter- und Großmüttergeneration, die Erfahrung von umfangreichen Kinderbetreuungsmöglichkeiten und der Selbstverständlichkeit weiblicher Erwerbsarbeit (auch in weniger weiblich konnotierten Berufen) geprägt. Noch immer ist die Berufstätigenrate unter ostdeutschen Frauen im Vergleich zu Frauen in Westdeutschland höher. Junge ostdeutsche Frauen scheinen wirtschaftliche Unabhängigkeit zu schätzen, sind weniger in einem traditionellen Familienbild verhaftet und beruflich sehr motiviert.

 

Kurzbiographie

Dr. Judith Christine Enders, Politikwissenschaftlerin. freiberufliche Sozialwissenschaftlerin und Dozentin an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin. Sie ist Mutter eines Sohnes und Mitbegründerin der Initiative „Dritte Generation Ostdeutschland“ und des daraus hervorgegangenen Vereins „Perspektive hoch 3 e.V.". Die europäische Perspektive bearbeitet sie im Projekt: Transition Dialogue – Mapping a Generation.

 

 

 

Panel 2

Werkstatt Privatbibliothek. Forschendes Lernen an/in der Sammlung Privatbibliothek Christa und Gerhard Wolf an der Humboldt-Universität zu Berlin

15:00, Raum 3.509, Dorotheenstr. 24

Treffpunkt: 14:45 Uhr | Foyer des Hauptgebäudes der HU zum gemeinsamen Hinübergehen

 

Birgit Dahlke (Humboldt-Universität zu Berlin)

Zur Vorgeschichte einer Arbeits- und Forschungsstelle an der Humboldt-Universität zu Berlin

 

Vorstellung des Bestandes und der Aufstellungsordnung des „Wende“-Regals innerhalb der Privatbibliothek der Wolfs, das vielfältig und interdisziplinär einen Einblick in „Wende“-Diskurse der 90er Jahre gibt, darunter Biographien, zum Teil mit interessanten Widmungen (Walter Janka neben Leopold Trepper, Leo Trotzki neben Markus Wolf, Günter Gaus neben Friedrich Schorlemmer, Robert Havemann neben Habermas, Karl Schlögel neben Hildegard Nickel, Daniela Dahn und Helga Königsdorf neben Niethammer und Luft, Rosemarie Will neben Ulrich Schacht, Hans Mayer neben Jürgen Fuchs, Falin neben Lustiger usw.) sowie brisante zeithistorische Darstellungen zur Sozialismus- und Stalinismus-Geschichte, die eben in dieser Umbruchszeit publiziert und diskutiert wurden.

 

Kurzbiographie

Birgit Dahlke, Institut für Deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Leiterin der Arbeits- und Forschungsstelle Privatbibliothek Christa und Gerhard Wolf an der HU Berlin. Sie habilitierte an der Philosophischen Fakultät II der Humboldt-Universität Berlin zum Thema „Jünglinge der Moderne. Jugendkult und Männlichkeit um 1900“ und hatte seitdem verschiedene Gast- und Vertretungsprofessuren inne, unter anderem an der Georgetown University in Washington DC/USA, der University of Nottingham/GB und zuletzt auch an der HU-Berlin.

 

Katharina Hackl, Elisa von Hof (Humboldt-Universität zu Berlin, Masterstudentinnen der Geschichte bzw. Neueren deutschen Literatur, Mitglieder der studentischen AG CW Andernorts)

Dokumentation des Christa-Wolf-Gesprächskreises 1989 bis 2004

 

Was interessiert heutige junge Menschen daran, über welche damals entworfenen gesellschaftlichen Visionen staunen sie, was greifen sie auf, was halten sie heute für produktiv und anknüpfenswert? Anhand von Fallbeispielen: Einige der Gesprächsprotokolle nach Tonbandmitschnitten aus der Akademie der Künste vom 26. Februar 1991 mit Günter Gaus, 22. September 1994 mit Daniela Dahn zu ihrem Buch „Wir bleiben hier oder: Wem gehört der Osten?“ und 24. Mai 1995 mit Rosemarie Will und Wolfgang Ullmann zum Thema ihres Aufsatzes „Die Revolution ist vorbei“ wurden bereits von beiden transkribiert. Ein Überblick über sämtliche Gesprächsthemen und Gesprächsteilnehmer_innen aus Ost und West liegt, von ihnen erarbeitet, vor und wird bis dahin ergänzt.

Dialogizität und Offenheit, aber auch kritische Abrechnung mit Anpassungsverhalten und Würdigung von im weitesten Sinne widerständigen Alltagspraxen, Geist des Suchens nach gesellschaftlichen Alternativen und des kritischen Aufarbeitens der Sozialismus-/Stalinismus-Geschichte vom Standpunkt damaliger Gegenwart – was waren Fragen der 1990er Jahre? Was wurde in der Atmosphäre des nach-89er Aufbruchs denk- und artikulierbar und ist es heute weniger? 

 

Emma Charlott Ulrich und weiter Mitglieder der studentischen AG „Christa Wolf Andernorts“ (Humboldt-Universität zu Berlin)

Ergebnisse forschenden Lernens in der Privatbibliothek

 

Flashmob mit kurzen Zitaten aus Christa Wolfs Briefen der Wendejahre 1990 bis 1992 (weitere Studierende der AG CW Andernorts) - 10 Minuten

 

Die drei Beiträge sind nicht als Vorträge angelegt, sondern als materialgesichertes „INPUT“, das eine Diskussion über Debatten der 1990er auslöst: Welche bis heute uneingelösten/unabgegoltenen Erkenntnisse und „Lehren“ aus der Geschichte wurden damals aufgegriffen? Sie erinnern zudem konkret an teilöffentliche Debatten über anstehende Fragen der Gestaltung des vereinigten Deutschlands und an Protagonist_innen dieser Debatten. Welche Frauen, welche Männer wurden im Verlauf der Debatten zu wichtigen Sprecher_innen/ Denker_innen? Welche „Intellektuellen“/ engagierten Künstler_innen und Schriftsteller_innen/ im besten Sinne „Bürgerbewegte“ wurden damals öffentlich sichtbar (und wo sind sie heute?)? Wie erklärt sich die auffällige Präsenz selbstbewusster gebildeter Frauen in diesen Debatten? Wurde ihnen (im kollektiven Unbewussten) weniger Beteiligung an DDR-Observations-, Kontroll- und Herrschaftsstrukturen zugeschrieben und galten sie deshalb als moralisch integer? Welche Aufbruchsenergien wurden 1989 freigesetzt, an die sich heute anknüpfen ließe? Wir rücken Personen, Aktivitäten und Themen wieder ins Licht, welche in den drei Jahrzehnten seither eher marginalisiert als gewürdigt wurden. Die Einbeziehung Studierender steht dabei im Zentrum: wie sehen sie auf die ihnen zum großen Teil bisher wenig bekannte Geschichte dieser kurzen Phase öffentlichen Austauschs über die (Um-)Gestaltung gesellschaftlicher Strukturen und Vorgänge? Lassen sich aus der Begegnung mit einer Praxis politischer Reflexion Schlüsse für die Gegenwart ziehen? Die Veranstaltung lässt sich durch die Ausstellung von Gesprächsprotokollen, Widmungen in Büchern der Bibliothek und Fotos ergänzen.

 

Panel 3

Führung zu Schauplätzen des Widerstandes

Treffpunkt: 14:30 Uhr | Foyer des Hauptgebäudes der HU zu Berlin

 

Prof. Dr. Ulrike Auga

Orte der Dissidenz von 1989 in Ost-Berlin. Geschlecht – Religion – Handlungsmacht

 

Große Teile der Evangelischen Kirche in Ostdeutschland wurden zur Dachorganisation für friedlichen Widerstand. In Kirchen begannen die Märsche mit Kerzen, die die Friedliche Revolution mitauslösten. Zahlreiche Mitglieder Evangelischer Kirchen waren aktiv im feministischen, LGBTIQ* und gesamtgesellschaftlichen Widerstand. Sie übernahmen 1989 Verantwortung an vielen Orten, im Unabhängigen Frauenverband sowie am Runden Tisch, der eine neue Verfassung für einen dritten Weg erarbeitete, sowie in verschiedenen neuen Strukturen wie dem Neuen Forum.

Wenn man über die Rolle von Feminismus, Theologien und Glaubensorganisationen in den Revolutionen von 1989 spricht, muss zwischen einzelnen Personen, Kirchen und Theolog*innen wie auch ihrer Wirkung – ob sie die sozialistischen totalitären Regierungen unterstützen oder kritisieren – unterschieden werden. Den Kirchen in der DDR wurde eine weitgehend gewalttätige Säkularisierung durch die marxistisch-leninistische Philosophie aufgezwungen, die traditionell Religion als „Opium des Volkes“ versteht. Einige befürworteten den umstrittenen Begriff der „Kirche im Sozialismus“, der eine schrittweise Etablierung innerhalb des Staates bedeutete. Dieser Ansatz mit seiner positiven Einstellung zum real existierenden verfälschten Sozialismus der DDR wurde verteidigt mit dem Anspruch, dass die DDR als wahrhaft antifaschistischer und antikapitalistischer Staat Legitimation besitze. Für viele jedoch wurde der totalitäre Charakter des ostdeutschen Regimes immer unerträglicher. Da die Meinungsfreiheit begrenzt war, das Recht auf Religionsfreiheit jedoch gewahrt blieb, wurden Kirchen die einzigen Orte, an denen eine Meinung geäußert werden konnte. Für viele ging es um die Herbeiführung einer solidarischen Gesellschaft, den Weltfrieden, jedoch auch um feministische und Umweltfragen in der DDR in Abgrenzung zu Ausreisewilligen. Einige Mitglieder der Kirche gründeten die „Kirche von unten“, um sich von der Kirche, die das System unterstützte, zu distanzieren. Darüber hinaus öffneten viele Pastor*innen ihre Türen für Gebete, Gottesdienste und Konzerte, bei denen es sich um politische Versammlungen handelte. Mitglieder der Kirche unterstützten Opfer der Staatssicherheit.

Dieses Panel führt zu zwei wichtigen Orten des Widerstandes, der Zionskirche mit der Umweltbibliothek und der Gethsemanekirche, um zentrale Aspekte zu diskutieren.

 

 

Panel 4

Workshop

15:00, Raum 2070a, Hauptgebäude

 

Ingrid Meyer-Legrand (Systemische Praxis Berlin – Brüssel)

My Life Storyboard: Biografische Chancen und Herausforderungen – DDR, Friedliche Revolution & 30 Jahre vereintes Deutschland im biografischen Gepäck

 

"Es kommt nicht darauf an, was man aus uns gemacht hat, sondern darauf, was wir aus dem machen, was man aus uns gemacht hat." (J.-P. Sartre - Saint Genet)

 

Dieses Zitat steht als Motto über meiner Arbeit mit My Life Storyboard – einer Zeitlinienarbeit, die genau die Spuren untersucht, die dieser Prozess in den einzelnen Biografien hinterlassen hat. Welche gesellschaftlichen Einschreibungen tragen diejenigen in sich, die in der DDR sozialisiert, Erfahrungen mit der Friedlichen Revolution gemacht haben und die sich schließlich in der Folge des gesellschaftlichen Umbruchs neu erfinden mussten und sich neu erfunden haben? Welche besonderen Kompetenzen haben Einzelne – insbesondere Frauen – entwickelt vor dem Hintergrund dieser gesellschaftlichen Situation, in der ihnen Errungenschaften, wie z.B. unabhängig von einem Mann zu existieren, genommen wurden? Zu welchen Expert*innen sind sie geworden?

Die Friedliche Revolution hat viele von ihnen einerseits aus sämtlichen traditionellen Verbindungen herauskatapultiert und andererseits – wiederum die Frauen – in längst überholt geglaubte Strukturen zurückgeworfen (§218 u.a.) und sie vor die Herausforderung gestellt, sich ganz neu zu erfinden. Eine sogenannte "Normalbiografie" war für sie von Beginn an nicht möglich – für viele indessen auch nicht erstrebenswert.

Viele wiederum erleben die Individualisierung der Gesellschaft als eine gewisse Unbehaustheit und Heimatlosigkeit, weil sie permanent herausgefordert werden, sich zu verändern, sich selbst zu optimieren und sich der Mobilität und Flexibilität dieser Gesellschaft anzupassen. Viele individualisieren das damit einhergehende Leid und machen sich selbst für jene Situation verantwortlich.

Zu dieser eher allgemeinen Herausforderung kommt die Tatsache der strukturellen Erniedrigung, die ehemalige DDR-Bürger*innen kollektiv erfahren und womit Einzelne umzugehen haben: Nicht nur ist das gesamte Land weg – „Keinland“ (J. Hensel) – sie werden darüber hinaus beschämt, aus dem falschen Land zu kommen.

Mit der Arbeit My Life Storyboard wird ein Bogen gespannt, beginnend bei der Rolle, die Einzelne in ihrer Herkunftsfamilie inne hatten, über die Rolle, die sie in der Schule und in ihrer Generation etc. gespielt haben, bis hin zu jener Rolle, die sie in ihren aktuellen Tätigkeiten einnehmen – und dies eingebettet in verschiedene gesellschaftliche Kontexte.

Dieser Bogen macht für die jeweilige Person ganz spezifische und zuverlässig auftauchende Deutungs- und Handlungsmuster sichtbar, die über individuelle Verantwortlichkeiten hinaus auf gesellschaftliche Zusammenhänge verweisen. In Folge dessen erscheint die Biografie nicht nur wie ein einzigartiges Curriculum, das sie durchlaufen haben, um mit spezifischen (gesellschaftlichen) Herausforderungen umzugehen, sondern zeigt ihnen auch, wie sich Gesellschaft in die einzelnen Biografien eingeschrieben hat.

In dieser narrativ-ästhetisch angelegten Auseinandersetzung erkennen viele ihre besonderen Kompetenzen im Umgang mit den Herausforderungen ihrer einzigartigen Geschichte und können normative Narrative beiseitelegen. Am Ende dieser Arbeit erleben die Personen oftmals eine große Verbundenheit mit dem eigenen Weg und bekommen Hochachtung vor der eigenen Lebensleistung und beginnen kraftvoll, ihr Leben im "Dazwischen" zu gestalten.

 

Kurzbiographie

In freier Praxis in Berlin und Brüssel tätig, Systemische Therapeutin (SG), Systemische Supervisorin (SG), Coach, Autorin, Lehrbeauftragte an der EHB – Evangelische Hochschule für Soziale Arbeit in Berlin. Dipl.-Sozialarbeiterin, Studium der Sozialwissenschaften und Geschichte, Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde; HP Psychotherapie, Europäisches Zertifikat Psychotherapie (ECP), in Weiterbildung zur Hypnotherapeutin (MEG Berlin) Autorin zahlreicher Fachveröffentlichungen zum Thema Kriegsenkel. Autorin „Die Kraft der Kriegsenkel“ (2016), Mitautorin „Nebelkinder“ (2015). Europa Verlag. Siehe auch: www.meyer-legrand.eu; mailto@meyer-legrand.eu

 

 

Panel 5

Führung durch die Genderbibliothek mit einer Lesung aus den OWEN-Interviews

15:00, Raum 1.05, Georgenstr. 47

Treffpunkt: 14:45 Uhr | Foyer des Hauptgebäudes der HU zum gemeinsamen Hinübergehen

 

Karin Aleksander (Humboldt-Universität zu Berlin)

Was bleibt? Ressourcen in der Genderbibliothek

 

Karin Aleksander/ Heike Schimkat (Humboldt-Universität zu Berlin)

Frauen erzählen über ihr Leben in der DDR. Das OWEN-Projekt ‚Frauengedächtnis‘ im Digitalen Deutschen Frauenarchiv

 

Die Genderbibliothek des ZtG ist selbst ein Produkt interventionistischer Aktionen zur Veränderung der Wissenschaftslandschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Gründungspapier des ZiF geplant als notwendige Basis für Forschung und Studium frauenspezifischer und Genderperspektiven in den Wissenschaften entwickelte sie sich seit April 1990 zu der zentralen Anlauf-, Sammel- und Beratungsstelle für alle an Gender Studies Interessierte.
Entstanden als genuines DDR-Produkt vor und während der Wendezeit 1989/90 ist die Genderbibliothek selbst ein historischer Ort, wo die wissenschaftliche Literatur dieser Zeit unter Frauen-/Genderaspekten von Anbeginn gesammelt und erschlossen wird. Zahlreiche Forschungsprojekte im In- und Ausland sind auf der Basis dieser Sammlung zu den Themen Frauen und Geschlechterverhältnisse in der DDR und den neuen Bundesländern entstanden.  Mit einer Ausstellung und/oder Führung durch die Genderbibliothek kann diese Geschichte mit konkreten Beispielen plastisch vermittelt werden.
Dazu gehört auch das in der Genderbibliothek durchgeführte Drittmittelprojekt „Frauengedächtnis – DDR-Frauen verschiedener Generationen erzählen über ihr Leben im Sozialismus“. Mit Hörproben und Textpassagen aus den Interviews werden individuelle Lebensgeschichten vorgestellt. Mit ihrer Einzigartigkeit und Authentizität regen sie an, über Grundlagen für ein historisch differenzierendes Geschichtsbild zu diskutieren.

 

Kurzbiographien

Dr. Karin Aleksander: Philosophiestudium, Dr. phil.; Fernstudium Bibliothekswissenschaft, MLS; Leiterin der Genderbibliothek/Inf/Dok des ZtG an der Humboldt-Universität zu Berlin (1990-2019); HU-Leitung im DFG-Projekt GenderOpen (2016-2019); Mitarbeit im i.d.a.-Dachverband e.V., META-Projekt, DDF, WINE und EIGE.

 

Dr. Heike Schimkat: Sozial-/Kulturanthropologin (PhD University of Toronto), promovierte zu Transformationserfahrungen von Frauen in den neuen Bundesländern am Beispiel des (DFD-) Frauentreffs Sundine, Forschungsschwerpunkte: Ethnografie, Biografie, Diversity (Gender, Age). Leitung des DDF-Projekts in der ZtG-Genderbibliothek/HU Berlin.

 

 

Panel 6

Zur Institutionalisierung der Frauen- und Geschlechterforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin: das Zentrum für interdisziplinäre Frauenforschung (ZiF)

17:30, Senatssaal, Hauptgebäude

 

 

Isabell Adler, Rebecca Wegmann (Humboldt-Universität zu Berlin)

Festgeschriebener Erfolg und erzählte Erfahrung: Gründungserzählungen zur Institutionalisierung der Frauenforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin

 

Seit wann wurde an der Humboldt-Universität zu Berlin Frauenforschung betrieben? Und wie genau kam es zur Institutionalisierung des Zentrums für interdisziplinäre Frauenforschung (ZiF) an der Humboldt-Universität zu Berlin? Diese Fragen versuchten Isabel Adler und Rebecca Wegmann mit einem Oral-History-Projekt, das im Seminar „Wissenschaft und Demokratie: 1989“ bei Prof. Dr. Anke te Heesen und Dr. Lara Keuck angesiedelt war, zu beantworten. Um die Deutungsmuster der Gründungsgeschichte sowie das Verhältnis von Feminist*innen aus Bundesrepublik und DDR zu ergründen, führten Isabel Adler und Rebecca Wegmann deshalb Zeitzeug*innen-Interviews mit Akteur*innen aus der Gründungszeit des ZiF.

 

Kurzbiographien

 

Isabel Adler studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Soziologie an der Technischen Universität Dresden und der Humboldt-Universität zu Berlin. Derzeit verfasst sie ihre Masterarbeit zur feministischen Wissenschaftsgeschichte am Institut für Geschichtswissenschaften der HU Berlin. Außerdem arbeitet sie als studentische Mitarbeiterin bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur sowie dem deutsch-amerikanisch-jüdischen Begegnungsprogramm Germany Close Up.

 

Rebecca Wegmann studierte Geschichte und Deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin und macht derzeit ihren Master in Geschichtswissenschaften ebenfalls an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit Frühjahr 2018 ist sie studentische Hilfskraft in der Redaktion von Zeitgeschichte-online am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschungen in Potsdam.

 

 

Samstag, 30. November 2019

 

10:00, Senatssaal, Hauptgebäude

 

Elisaveta Dvorakk (Humboldt-Universität zu Berlin)

Widerstand, Aktivismus und Kunst in der DDR. Visionen – (Un-)Sichtbarkeiten –

Kommodifizierung

 

Das offene, visionäre Element kann in der DDR und in anderen osteuropäischen sowie weiteren sozialistischen Staaten über diktierte Ideologien hinaus als stark beschrieben werden. Neben der hervorgehobenen Stellung der Lesekultur war die Rolle der bildenden Künste innerhalb des Kulturkonzeptes der DDR zentral. Über Musik, Literatur und Theaterproduktion hinaus waren Performancekunst, Malerei, Bildhauerei, Grafik und Architektur wichtige Orte offen visionärer Wissensproduktion. Parallel zu der Entwicklung systemkonformer und -legitimierender Kunst des sozialistischen Realismus entstand eine breite künstlerische Widerstandsbewegung. Sowohl als öffentliche Intellektuelle wie auch als Vertreter*innen der Untergrundkultur übten Künstler*innen Regimekritik aus und boten alternative Formen der künstlerischen und politischen Repräsentation an.

Der Vortrag fokussiert die Geschlechterkritik insbesondere im Kontext der Performancekunst und untersucht kritisch den Begriff der „Öffentlichkeit“. Ausgewählte Werkbeispiele aus der Malerei, Bildhauerei und Grafik zur Kunst der DDR sind den Beständen der Nationalgalerie in Ost-Berlin (Staatliche Museen zu Berlin) entnommen.

Im Vortrag werden die historische Marginalisierung des künstlerischen feministischen Aktivismus in der DDR einerseits und der Stellenwert der Kunst in den gesellschaftspolitischen Widerstandsdiskursen andererseits thematisiert. Die Mechanismen und Gründe für die Ausschlüsse der feministisch agierenden und aktivistischen Kunst aus dem staatlichen Kanon der DDR werden erörtert. Im Fokus der Analyse steht der Beitrag des künstlerischen Aktivismus in der DDR zur Geschlechterkritik und zu alternativen solidarischeren Vorstellungen der neuen Gesellschaftlichkeit.

Der Vorbildcharakter der widerständigen Kunst sowohl für die Weiterentwicklung der Kunstgenres der Performance als auch für die Formierung des zeitgenössischen Aktivismus und politisch engagierter Kunst innerhalb der neuen sozialen Bewegungen wird untersucht.

Als eine weitere Verbindung zum aktuellen Zeitkontext wird die seit den 2000er Jahren auftretende Kommodifizierung der Kunst der DDR angesprochen, die häufig als Kunstvermarktung mit einer einhergehenden Auslöschung des ursprünglichen politischen und historischen Entstehungskontextes geschieht.

 

Kurzbiographie

Elisaveta Dvorakk ist Doktorandin am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie ist assoziiertes Mitglied des Zentrums für transdisziplinäre Geschlechterforschung (ZtG) der Humboldt-Universität zu Berlin und assoziierte Kollegiatin des DGF-Graduiertenkollegs „Identität und Erbe“ an der Technischen Universität Berlin und der Bauhaus-Universität Weimar.

Sie absolvierte ein Masterstudium der Kunstgeschichte im globalen Kontext mit Schwerpunkt Europa und Amerika an der Freien Universität Berlin. Elisaveta Dvorakk studierte Kunstgeschichte, Theorie und Geschichte der Fotografie, Gender Studies und Evangelische Theologie in Berlin, Zürich und Wien.

In ihrer Dissertation setzt sie sich mit journalistischer Reisefotografie und politischen Ästhetiken des Dokumentarischen in der Schweiz und der Sowjetunion in den Jahren 1937-38 auseinander. Sie untersucht das fotografische Werk der Schweizer Journalistin, Schriftstellerin und Historikerin Annemarie Schwarzenbach (1908-1942) im Rahmen ihrer journalistischen Reisen in die Sowjetunion, nach Estland, Litauen, Lettland, Finnland und Schweden von 1937 bis 1938 aus einer kritischen bildwissenschaftlichen Perspektive.

Elisaveta Dvorakks weitere Forschungsinteressen umfassen Theorien der Fotografie; Ästhetiken des Totalitarismus; Kunstgeschichte Osteuropas; Gender-/ queere, postkoloniale und postsäkulare Theorie; visuellen Aktivismus und (Post-) Digitale Archivierung.

Sie ist Mitglied des Verbandes deutscher Kunsthistoriker und der College Art Association of America (CAA). Elisaveta Dvorakk ist Vorstandsmitglied der International Association for the Study of Religion and Gender (IARG).

Ihre Promotionsforschung wird durch die Studienstiftung des deutschen Volkes gefördert.

 

 

 

Panel 7

Imaginärer Bildspaziergang mit Ruth Tesmar durch die Humboldt-Universität zu Berlin

11:15, Raum 2070a, Hauptgebäude

 

Prof. Dr. Ruth Tesmar

 

Der Vortrag fokussiert unterschiedliche Aspekte des akademischen und künstlerischen Schaffens von Ruth Tesmar an der Humboldt-Universität zu Berlin und fragt insbesondere nach den genderspezifischen Facetten. Es wird ihre Rolle als Dekanin im Fachbereich der Kultur- und Kunstwissenschaften in den Jahren 1992 bis 1994 im Kontext der Evaluierung und Umstrukturierung der HU zu Berlin beleuchtet. Gleichzeitig wird die Bedeutung von Ruth Tesmar als erster weiblicher Kunstprofessorin und Leiterin des Seminars für künstlerisch-ästhetische Praxis – seit 1993 Menzel-Dach – in den Jahren 1992 bis 2016 thematisiert. Das Seminar wurde 1992 als Teil des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte gegründet und transformierte auf feministische Art die männlich konnotierte Tradition des Universitätszeichenmeisters. Das von Ruth Tesmar geleitete Menzel-Dach verband die kunstgeschichtliche Lehre mit der Praxis künstlerisch-ästhetischer Schulung. Dieser Ansatz blieb deutschlandweit einzigartig und vermittelte Studierenden aller Fachrichtungen klassisches Aktzeichen sowie historische Drucktechniken. Ein weiterer Schwerpunkt des Vortrages liegt auf der Diskussion zahlreicher Plakate, Einladungen, Umschlagmotiven der Bulletin-Reihe sowie Bucheinbände, die Ruth Tesmar seit der Gründung des Zentrums für interdisziplinäre Frauenforschung (ZiF) gestaltete. Weitere Bildwerke wurden zudem an die Preisträgerinnen des Caroline von Humboldt-Preises der HU zu Berlin als Schenkungen überreicht. Die Auszeichnung wird seit 2010 jährlich an eine exzellente Nachwuchswissenschaftlerin vergeben und fördert ausschließlich weibliche Forschende. Eine Auswahl von Bildwerken und baugebundener Kunst von Ruth Tesmar führt beim imaginären Spaziergang an unterschiedliche Orte der HU zu Berlin quer durch die Hauptstadt – vom Hauptgebäude, Unter den Linden 6, bis zur Kinderstube im Jakob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum. Die zentrale Bedeutung des künstlerischen Einsatzes von Ruth Tesmar für das heutige Erscheinungsbild der HU zu Berlin wird erläutert.

 

Kurzbiographie

Ruth Tesmar wurde 1951 in Potsdam geboren. 1969 begann sie ihr Studium der Kunstpädagogik und Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Promotion schloss sie 1981 erfolgreich an der Humboldt-Universität zu Berlin ab. 1981 bis 1983 studierte sie Malerei und Grafik auf Diplom an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. 1987 wurde sie Dozentin für Malerei und Graphik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie war Professorin für Künstlerisch-Ästhetische Praxis und Leiterin des Menzel-Daches an der Humboldt-Universität von 1993 bis 2016. Von 1992 bis 1994 war sie an der Humboldt-Universität Dekanin im Fachbereich der Kultur- und Kunstwissenschaften in der Umstrukturierungsphase. Ruth Tesmar wurden diverse Preise für Graphik und Buchkunst verliehen. Ihre Arbeiten sind in zahlreichen Museen und Sammlungen im In- und Ausland vertreten.

 

 

Panel 8

Transnationalismus. Rückbezug neuer sozialer Bewegungen auf die Wendeereignisse in mittel- und osteuropäischen Ländern

11:15, Senatssaal, Hauptgebäude

 

 

Anikó Gregor (Eötvös-Loránd-Universität Budapest)

From Rising Star to Fallen Angel: The Hungarian History of "Gender" as Political Instrument

 

In October 2018, the Hungarian government officially withdrew the accreditation of all gender studies M.A. programs in Hungary. Most of the commentary that appeared in both the national and international press interpreted this step as the expansion of Viktor Orbán's sexist, homophobic, patriarchal, anti-intellectual, authoritarian project called 'building an illiberal state'. In this presentation, I will join and build on the existing interpretations (see Grzebalska et al. 2017, Grzebalska & Pető 2018, Kováts 2018) which go beyond the explanation of current trends with the global re-emergence of traditionalism or cultural-political backlash and focus more on the crisis tendencies of neoliberalism.

Based on a recent reconstruction of the genealogy of the term "gender" by Jemima Repo (2015), I approach this concept as a political instrument aiming at governing male and female bodies to fulfill different political, economic, cultural, social roles and functions (e.g. in production, reproduction) in societies. In this sense, struggles over the term "gender" can be analyzed as political battles over a governing instrument.

At the same time, the "catching-up" transition from state socialism to liberal democracy not only promised a different political landscape with a higher level of recognition of freedom and human rights in general. It also went hand-in-hand with the social effects of economic restructuring in the name of the principles of global market fundamentalism, which increased material insecurity and shrunk the welfare safety net.

In the sphere of activism, some fields of academic research and policymaking "gender" soon rose to the top. Cultural issues dominated the attention of the re-emerging feminist activism (Ghodsee 2004; Barna et al. 2019), while the problematization of gender inequalities from a material angle became a marginal issue (Gregor & Grzebalska 2017). Due to structural issues (see Zimmermann 2007), in academia a private US-university became the flagship of gender studies and research, whereas in the resource-poor public universities the institutionalization of gender studies was limited, organic, and slow.

Furthermore, the humanities focused less on the structural reasons behind (social) gender inequalities, while the social sciences also limited their scope, but to economically justifiable topics, e.g. work-life balance or the glass ceiling. The EU accession further intensified these processes by framing "gender equality" as both a progressive fundamental value and as an economic necessity. Meanwhile, one could witness the growing multiplication and diversity of the meaning and conceptualization of the term "gender", not just in the global academia, but also in activism and policy-making (Kováts 2018).

Political forces portraying "gender" as a progressive, elitist, liberal, foreign idea which endangered the social order, families, and the nation not only utilized the abovementioned limitations, but channeled the collective emotions of constant material insecurity and disappointment in the promise of the transition and the EU accession into symbolic debates (Grzebalska et al. 2017). Thus, the reasons behind the de-accreditation of the gender studies M.A. programs are rooted deeply in the failed "catching-up" project of the last 30 years.

 

Short CV

Anikó Gregor PhD works as a senior lecturer at Eotvos Lorand University (ELTE), Budapest, where she teaches various courses in the fields of social research methods and sociology of gender. She received her PhD degree in Sociology (ELTE 2015) and she holds an M.A. in Gender Studies (Central European University, 2011). Besides being a lecturer, she was a program developer of the Gender Studies M.A. program in Hungarian at ELTE (2014- ). In her research, she focuses on the connections between gender inequalities and neoliberalism, especially from an East Central European perspective. Currently, as a research fellow at Freie Universität, Berlin, she is analyzing the knowledge politics of global gender (in-)equality rankings as instruments in self-colonizing narratives in the semi-periphery.

 

 

Bożena Chołuj (Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)/Universität Warschau)

Geschlecht in der Differenzenvielfalt – kritische Anmerkungen zu emanzipatorischen Bewegungen aus polnischer Perspektive

 

Einmischen, Gestalten und Provozieren leistete die zweite Frauenbewegung Polens insbesondere in ihrer Entstehungszeit in den 1990er Jahren. Bis zum EU-Beitritt Polens 2004 waren die Aktivistinnen in unterschiedlichen Formen aktiv, auf die im Vortrag eingegangen wird. Nach dem Beitritt kamen die ersten politischen Enttäuschungen. Bis heute haben die engagierten Frauen keine Liberalisierung des Gesetzes zur Regelung der Abtreibung erreicht, die ersten wichtigen Frauen-NGOS, wie OSka, KARAT oder das Frauen Zentrum Mokotowska PSF, verschwanden von der Bildfläche, andere, wie das Zentrum für Frauenrechte oder die Föderation für Frauenangelegenheiten und Familienplanung bespielen ihre Felder weiterhin auf ihre gewohnte Art, d.h. sie machen eher feministische Sozialarbeit, kämpfen kaum mehr für politische Veränderungen. Feminist_innen engagieren sich individuell in gesellschaftlichen Protestbewegungen, die von einzelnen Berufsgruppen oder gemeinsam von Frauen, Männern und Jugendlichen organisiert werden. Vor diesem Hintergrund werden die neu entstandenen Organisationen wie Kongress Kobiet oder Mädels den Mädeln u.a. als Bewegungen dargestellt, die Gruppeninteressen im engeren Sinne vertreten. Ihr Streben nach Eindeutigkeit der Geschlechter in der Differenzenvielfalt führt zu einer verheerenden Zersplitterung des emanzipatorischen Potenzials, was ich als These zur Diskussion stelle.

 

 

Kurzbiographie

Univ. Prof., Dr., Literatur- und Kulturwissenschaftlerin. Leiterin der Gender Studies und Literaturwissenschaftlerin im Institut für Germanistik an der Universität Warschau. Professur für Deutsch-Polnische Kultur- und Literaturbeziehungen und Gender Studies an der Europa Universität Viadrina, Mitglied des Kulturwissenschaftlichen Fakultätsrates an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder. Seit 1992 Zusammenarbeit mit polnischen NGO´s; u.a. Mitbegründerin von OSKA (Informationszentrum für Frauenaktivitäten in Warschau), der Karat-Coalition und Herausgeberin der Zeitschrift "Katedra", Redakteurin des translatologischen Jahrbuches „OberÜbersetzen“; 2011 gründete sie im Auftrag der Universität Viadrina, BA-Studiengang Interkulturelle Germanistik, den sie bis heute leitet.

Forschungsschwerpunkte: Stereotypenforschung, Interkulturalität; Körper, Politik und Gender; textuelle Reproduktion von Machtverhältnissen der Geschlechter; Frauenbewegung und Gender Forschung in Polen (unter besonderer Berücksichtigung der Transformationsprozesse). Themarelevante Publikationen:

Wie wahr sind Wirklichkeiten, wie wirklich sind Wahrheiten? Versuch über eine argumentative Abhängigkeit https://www.youtube.com/watch?v=9wARa20AOw4; „Gender-Ideologie” – ein Schlüsselbegriff des polnischen Anti-Genderismus. In: Sabine Hark, Paula-Irene Villa (Hg.): Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze akuteller politischer Auseinandersetzungen. Bielefeld 2015, S.219-239; Ambivalenzen der Interkulturalität in Lehre und Forchung. In: Antnina Balfanz, Bożena Chołuj: Interkulturalität und Wissensvermittlung. Didaktischer Umgang mit Differenzen. Slubice 2016, S. 17-29. https://opus4.kobv.de/opus4-euv/frontdoor/index/index/docId/243; Interkulturalität im Universitätsbetrieb. In: Zeitschrift für interkulturelle Germanistik. Bielefeld 2017, S. 143-154.

 

 

Jana Cviková (ASPEKT/Institut für Weltliteratur, Slowakische Akademie der Wissenschaften, Bratislava)

Feminismen in der Slowakei: Zur Genese des Genderdiskurses nach der Samtenen Revolution und seinen heutigen Verwicklungen

TBA

 

Barbara Einhorn (University of Sussex)

Was bleibt von der friedlichen Revolution im heutigen Europa? Rückblick aus der Sicht einer transnationalen Grenzgängerin

 

Im Rückblick auf 1989 gibt es genügend Anlass, nachzufragen, was die Wende eigentlich gebracht hat, mit Hinsicht auf die Demokratie wie die Geschlechtergerechtigkeit. Heute bedroht uns in Europa und weltweit eine intolerante, hass-bewegte Politik, die gerade Geschlechtergerechtigkeit zum Sündenbock macht. Das Wort ‚Gender‘ allein wird personifiziert und als feindliche Ideologie dämonisiert. Dafür sind der ‚anti-Genderismus‘ in Polen wie der Verbot der Gender Studies in Ungarn prägnante Beispiele. Zusammen mit Ausländerfeindlichkeit und Hass nicht nur auf Andersdenkende, sondern auf alle Menschen aus einer anderen Kultur oder Religion hat sich eine Form von Rassismus und populistischer Hetze entwickelt, der dem Nazismus nicht allzu fernliegt.

Dieser Beitrag betrachtet die aktuelle politische Situation aus der Perspektive eines Lebens ‚dazwischen‘, durch Überschreitung der disziplinarischen Engen wie der geographischen und politischen Grenzen charakterisiert. Gender Studies überschreitet ja vom Wesen her Grenzen, kann und soll nicht anders. Meine Biografie hat einen Lebenslauf bestimmt, der immer suspekt war. Schon im Kalten Krieg, als ich die Literatur der DDR, vom Westen oft als schiere Propaganda verurteilt, zum Thema meiner Forschung machte, wurde dieses Unternehmen von beiden Seiten der ideologischen Konfrontation beargwöhnt. Als wäre das nicht genug, bin ich lebenslange engagierte Friedensaktivistin, den Sicherheitskräften in meinem Heimatland Neuseeland und der Stasi gleich suspekt. Nach der Wende habe ich den Transformationsprozess aus der Gender-Perspektive untersucht, auch gewagt, da das Auftreten einer West-Feministin in Ost- und Zentraleuropa schnell ganz verständlicherweise von den Einheimischen als anmaßend oder irritierend empfunden wurde.

Mein Plädoyer ist und bleibt ein Aufruf an die disziplinarisch, geographisch, ideologisch und politisch grenzüberschreitende Solidarität unter feministischen Wissenschaftler_innen und Aktivist_innen im Namen einer inklusiven sozial- und geschlechtergerechten Welt.  Im aktuellen sehr gefährlichen politischen Klima gibt es sehr viel zu tun. Agieren wir zusammen, provozieren wir weiterhin, bleiben wir nicht jede in ihrer bequemen Identität gefangen!

 

Kurzbiographie

1942 als Tochter deutsch-jüdischer marxistischer Flüchtlinge in Neuseeland geboren. Master in Germanistik in Neuseeland; Doktoranden-Studium an der TU Berlin, inkl. zwei Semester als Gasthörerin an der HU Berlin. Promotionsarbeit über den Roman in der DDR zwischen 1949 und 1969.

Von Germanistik in die Soziologie: Seit 1990 vergleichende Forschung zu Gleichberechtigungs-Fragen vor und nach der Wende in Ost- und Zentral-Europa: Zwei Buch-Veröffentlichungen: Cinderella Goes to Market: Citizenship, Gender and Women’s Movements in East Central Europe (1993); Citizenship in an Enlarging Europe: From Dream to Awakening (2006/2010). Eine aktuellere Veröffentlichung: ‚A Europe of Intolerance or Social Justice? The Uses and Abuses of Gender Today’, Eurozine (5 May 2017): abrufbar at http://www.eurozine.com/a-europe-of-intolerance-or-social-justice-the-uses-and-abuses-of-gender-today/

Ab Ende der 90er Jahren Interviews mit DDR-RemigrantInnen – Veröffentlichungen zu ihrem Identitätsverständnis; Veröffentlichungen zu Gender und Nationalismus. Aktuelle Forschung über transnationale Identität. Barbara Einhorn ist emeritierte Professorin für Gender Studies im Fach Soziologie an der Universität Sussex in England.

 

 

Panel 9

Filmvorführung: „Wittstock, Wittstock“

14:30, Raum 2070a, Hauptgebäude

 

 

Dokumentarfilm (1997) von Volker Koepp

Volker Koepp veröffentlichte eine siebenteilige Dokumentarfilmreihe zwischen 1975 und 1997. Er begleitet über 22 Jahre Renate, Edith und Elsbeth, drei Frauen die in Wittstock, im nördlichen Brandenburg, in der Textilindustrie tätig waren. Dieser Film ist der siebte und letzte der Filmreihe.

 

 

Panel 10

Verwobene, intersektionale Macht- und Herrschaftsverhältnisse vor und nach der Wende

14:30, Senatssaal, Hauptgebäude

 

 

Ilanga Mwaungulu (Berlin)

'Schwarze Schwester Angela': Die Solidaritätskampagne für Angela Davis in der DDR-Frauenzeitschrift Für Dich zwischen Identifikation mit antirassistischen Kämpfen und Leugnung von Rassismus in der DDR

 

In der DDR war Rassismus weit verbreitet: Er durchzog alle gesellschaftlichen Bereiche, wirkte auf struktureller, ideologischer und individueller Ebene und äußerte sich in unterschiedlichen Arbeits- und Lebensbedingungen von Migrant*innen und Dominanzdeutschen, in Bildern vom 'Eigenen' und vom 'Anderen' sowie in verbaler und physischer Gewalt gegen Schwarze und PoC. Gleichzeitig sah sich die DDR als antirassistische Gesellschaft. Auf der einen Seite leugneten Medien, Politik und viele Bürger*innen den Rassismus in der DDR, auf der anderen Seite unterstützten staatliche Institutionen und ein großer Teil der Bevölkerung antikoloniale und antirassistische Kämpfe in anderen Ländern. Besonders die Solidaritätskampagne mit der US-amerikanischen Kommunistin, Antirassistin und Feministin Angela Davis hatte ein enormes Identifikationspotential.

 

Aus diesen Gleichzeitigkeiten ergeben sich Fragen wie:

  • Wie wurde Rassismus in dieser Kampagne verhandelt?
  • Wie wurde Rassismus in der DDR darin geleugnet und das antirassistische Selbstbild bestärkt?
  • Wo finden sich aber auch Anknüpfungspunkte für eine kritische Thematisierung von Rassismus in der DDR?

 

Basierend auf Untersuchungen der Solidaritätskampagne in der DDR-Frauenzeitschrift Für Dich möchte ich im Vortrag diesen Fragen nachgehen.

 

Kurzbiographie

Ilanga Mwaunglu hat am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der HU Berlin ihren Master abgeschlossen. Ihre Masterarbeit "'Schwarze Schwester Angela': Die Solidaritätskampagne für Angela Davis in der DDR-Frauenzeitschrift Für Dich zwischen Identifikation mit antirassistischen Kämpfen und Leugnung von Rassismus in der DDR" ist Grundlage für diesen Vortrag.

 

 

Cash Hauke (Humboldt-Universität zu Berlin)

Migration, Gender und „Ostdeutsche“? Intersektionale Antworten auf rechte Identitätspolitik in Brandenburg und Sachsen

 

In den öffentlichen Debatten um die Übergriffe, in der Silvesternacht 2015/16 in Köln wird sexualisierte Gewalt, als ein „durch Migration importiertes Problem“ verhandelt. Die Reform des Sexualstrafrechts wird in der Folge, nur in der Verbindung mit verschärften Abschiebemöglichkeiten durchgesetzt. Durch ethnisierte mediale Darstellungen ausgewählter Straftaten und Praktiken des racial profiling wird das rassifizierte Bild vom gewalttätigen „männlichen jungen Geflüchteten" als „Täter“ hergestellt, während sexuelle und rassistische Gewalt ausgehend von „deutschen Täter_innen“ ausgeblendet wird. In Ost- und Westdeutschland wirken diese Bilder und legitimieren das Verständnis einer weiß deutschen Vorherrschaft und Definitionshoheit von Gewalt. Entlang von Zuschreibungen von nationaler und „kultureller“ Zugehörigkeit und Gender werden Gewalterfahrungen auf/ bzw. abgewertet und de/legitimiert und kulminieren in essentialisierenden Formen konservativer und rechter Identitätspolitik. Der Topos sexualisierter Gewalt wirkt dabei in besonderer Weise mobilisierend für eine rassistische und nationalistische „Abwehrpolitik“ und führt zu Gesetzesverschärfungen, Sanktionierungen und einem massiven Anstieg rassistischer Übergriffe. Mit den Ereignissen in Chemnitz, Cottbus und Köthen verschiebt sich der Diskurs in den Osten und Rassismus wird als Problem von gewaltbereiten rechten „Hutbürgern“ und Hooligans und als „Ostproblem“ verortet und damit bundesweite und ostspezifische Kontinuitäten von Rassismus und rechter Gewalt entnannt. Eine auf die Ereignisse in Chemnitz folgende „Zuhörpolitik“ fokussiert ungefiltert auf die „Ängste und Nöte“ der ostdeutschen Dominanzgesellschaft und schafft damit auch Repräsentationsräume für unwidersprochenen Rassismus. War es im Diskurs um Köln Sexismus, der über den Umweg von Rassismus thematisierbar wurde, so ist es nun die ostdeutsche Abwertungserfahrung, welche in Abgrenzung zu Geflüchteten thematisierbar wird. Hierbei besteht die Gefahr, eine „ost-Identität“ ins Feld zu führen, in der Inner-ostdeutsche Differenzlinien, Machtverhältnisse und Diskriminierungserfahrungen unsichtbar bleiben und verfestigt werden. Mit intersektionalen Analysen, Erinnerungs- und Bündnispolitiken vor Ort werden andere (ost-)Geschichten erzählbar und Formen der Solidarisierung sichtbar, die weit über Identitätspolitische Kämpfe hinausreichen und Essentialisierungspolitiken in Frage stellen.

 

Kurzbiographie

Cash Hauke ist Promovent* am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien und Stipendiat der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Er* forscht zur Arbeit gegen rechts in Ostdeutschland aus intersektionaler Perspektive und untersucht in einer Situationsanalyse nach Adele Clarke, die Wechselwirkungen von Diskursen und Handlungsstrukturen, Institutionellen Bedingungen, Kontextbedingten Faktoren, und epistemischen Auslassungen.

 

 

 

16:00, Senatssaal, Hauptgebäude

 

Doris Liebscher (Humboldt-Universität zu Berlin)

Essentialisierung, Relativierung oder Intersektionalität – zur Diskriminierung Ostdeutscher nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz

 

Pünktlich zum 30jährigen Wendejubiläum hat das Arbeitsgericht Berlin entschieden, dass sich Beschäftigte, die wegen ihrer ostdeutschen Herkunft diskriminiert werden, sich nicht auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) berufen können. Mittlerweile ist das gefestigte Rechtsprechung.

Das liegt nicht daran, dass Ostdeutsche nicht diskriminiert werden. Die Stigmatisierung als „Ossi“ findet an der Schnittstelle von sozio-politischen Zuschreibungen, ökonomischer Benachteiligung und Unterrepräsentation statt. Und auch ostdeutsche Diskriminierung ist intersektional, das zeigt sich mit Blick auf Frauen*, auf BPoC* und auf Generationen. Zugleich werden in letzter Zeit – prominent durch Naika Foroutans Studie zu ost-migrantischen Analogien – Parallelen in den Zuschreibungen an Migrant*innen und an Ostdeutsche diskutiert.

Doch das Stigma „ostdeutsch“ passt antidiskriminierungsrechtlich irgendwie in keine Schublade. § 1 AGG erwähnt Ostdeutsche nicht. Das führt zu absurden rechtswissenschaft-lichen Debatten darüber, ob und gegebenenfalls welche „ethnische Herkunft“ Ostdeutsche haben.

Der Vortrag stellt einer Analyse der Rechtsprechung und der rechtswissenschaftlichen Literatur zu "Ossi"-Diskriminierung eine Konzeption des sozialen Stigmas „ostdeutsch“ gegenüber. Die daran anschließende zentrale Frage ist, wie ein intersektional informiertes Antidiskriminierungsrecht diese strukturelle Diskriminierungsform angemessen adressieren kann, ohne Ostdeutsche als Ethnie zu essentialisieren und ohne Rassismus als davon zu unterscheidende Diskriminierungsdimension zu relativeren.

 

Kurzbiographie

Doris Liebscher, LL.M. Eur hat die Wende als 15-jährige in Leipzig erlebt. Sie hat Rechtswissenschaften in Leipzig und Madrid studiert. Sie ist Mitbegründerin und heute Vorständin des Antidiskriminierungsbüro Sachsen. Seit 2012 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt Law Clinic Grund- und Menschenrechte am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der HU Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Antidiskriminierungsrecht, feministische Rechtswissenschaft und Recht gegen Rassismus. Sie ist u.a. Mitautorin der Evaluation des AGG im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Politisch engagiert sie sich im Tribunal „NSU-Komplex auflösen“. Für eine Übersicht ihrer Veröffentlichungen: www.rewi.hu-berlin.de/de/lf/ls/bae/team/doris-liebscher

 

 

17:00, Senatssaal, Hauptgebäude

 

Ulrike Lembke (Humboldt-Universität zu Berlin)

Zwischenzeit und Zwischenraum: Visionen als feministisches Erbe?

 

Im „Winter der Anarchie“ 1989/90 schien plötzlich möglich, was zuvor kaum gedacht werden konnte: ein demokratischer Sozialismus, eine Gesellschaft ohne Staat, neue Formen des (politischen) Zusammenlebens. In jener Zwischenzeit vor den Volkskammerwahlen und der Entscheidung für den Beitritt der DDR entstand ein Zwischenraum, in dem politische Visionen gedacht, diskutiert, entfaltet, gelebt werden konnten. Diese feministischen Visionen wurden umgehend diskreditiert, und auch im Rückblick erscheinen die damaligen Vorstellungen naiv und fast peinlich, viele Aktivist*innen sind verbittert. Die Widerstände und Machtstrukturen werden deutlicher, aber auch der Umstand, dass die einen von einer besseren Welt träumten, während andere der Alptraum eines wiedervereinigten deutschen Nationalismus überrollte.

Zugleich sind Visionen und Utopien wesentliche Politikformen, an denen auch Frauen seit jeher beteiligt waren, allerdings im Gegensatz zu vielen berühmten männlichen Utopisten deutlich weniger im Modus der Katastrophe und vor allem eher staatsfern als staatsnah, klar machtkritisch und in sozialen Beziehungen denkend. Dreißig Jahre später, zwischen Anerkennungsdiskursen, Sachzwängen und neoliberaler Selbstoptimierung, könnte es lohnend sein, sich an den „Winter der Anarchie“ als Zwischenzeit und Zwischenraum zu erinnern, in dem eine ganz andere Gesellschaft vorstellbar schien. Vielleicht ist es gar an der Zeit, sich auch Visionen und Utopien als politisches Feld und emanzipatorische Aktionsmöglichkeit zurückzuerobern – im Widerstand gegen Sachzwänge und Entsolidarisierung.

 

Kurzbiographie

Ulrike Lembke ist Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie ist in der DDR geboren und in einer ostdeutschen Kleinstadt aufgewachsen, hat aber durch Jurastudium und Referendariat auch eine westdeutsche Sozialisation genossen. Sie arbeitete an Universitäten in Greifswald, Hamburg, Bielefeld und Hagen. Die Schwerpunkte ihrer Aktivitäten in Lehre und Forschung, Aktivismus und Wissenstransfer liegen im Antidiskriminierungsrecht; Grund- und Menschenrechten; rechtlichen Geschlechterstudien, insbesondere Intersektionalität und Postkategorialität, Gewalt im Geschlechterverhältnis, Intimität/Öffentlichkeit, Politiken der Reproduktion und transdisziplinärer Geschlechterforschung; sowie Rechtstheorie und Translation von Rechtsdiskursen.

 

 

Ausklang

18:15, Senatssaal, Hauptgebäude

 

 

Buchvorstellung und Lesung „Jung, weiblich, feindlich-negativ“ mit Almut Ilsen und Bettina Rathenow, Mitautorinnen des Buches „Seid doch laut! Die Frauen für den Frieden in Ost-Berlin“

 

Im Herbst 1982 formulierten sieben Frauen in Ost-Berlin eine Eingabe gegen das neue Wehrdienstgesetz der DDR, das die Einbeziehung von Frauen im Fall der Mobilmachung und des Verteidigungszustandes ermöglichte. Sie sammelten ca. 130 Unterschriften. In der Folge entstand die Oppositionsgruppe „Frauen für den Frieden“ in Ost-Berlin, andere Städte folgten nach. Die Gruppen vernetzten sich und es fanden jährliche Treffen statt. Die Ostberliner Gruppe wandte sich gegen Wettrüsten und die Militarisierung der Gesellschaft, insbesondere im Lebensbereich von Kindern und Jugendlichen. Sie organisierte Veranstaltungen unter dem Dach der Kirche und knüpfte Kontakte zur westeuropäischen Friedensbewegung. Die Stasi befürchtete die Entstehung einer unabhängigen Frauenbewegung in der DDR – es gab Zuführungen, Verhöre und Verhaftungen.

Fast 30 Jahre nach dem Ende der DDR haben sich ehemalige „Frauen für den Frieden“ der Ostberliner Gruppe zusammengefunden, um ihre Geschichte zu erzählen. Sie konnten auf Interviews aus dem Jahr 2000 für ein damals nicht realisiertes Buchprojekt zurückgreifen. Diese und weitere Erinnerungsberichte von 18 Frauen bilden das Kernstück des Buches „Seid doch laut!“. Ruth Leiserowitz ordnet die Geschichte der Frauengruppe in den zeithistorischen Kontext ein. Im Hinblick auf die Aktivitäten der Staatsicherheit wird den Erfahrungen in der Untersuchungshaft die Sichtweise eines Führungsoffiziers der Staatssicherheit gegenübergestellt. Almut Ilsen recherchierte in den Akten des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit und erzählt die Geschichte der Frauengruppe in Bezug auf die Zersetzungsbemühungen der Stasi.

 

Kurzbiographien

 

Almut Ilsen wurde 1950 in Jena geboren. Sie war Chemikerin, Fotografin und 1982 Mitbegründerin und Mitglied der Ost-Berliner Oppositionsgruppe »Frauen für den Frieden« sowie 1989 Mitbegründerin des Ostberliner Frauenzentrums EWA. Ihr postgraduales Studium absolvierte sie in der Bibliothekswissenschaft und war fortan in der Staatsbibliothek Berlin Ost und West als Fachreferentin für Naturwissenschaften tätig. Seit 2016 ist sie im Ruhestand. Sie hat einen Sohn, eine Tochter und drei Enkeltöchter.

 

Bettina Rathenow wurde 1953 in Dresden geboren. Sie studierte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena; Abschluss als Diplomlehrerin. In Jena hatte sie bereits Kontakt zur DDR-Opposition. 1981 bekam sie Berufsverbot als Lehrerin aus politischen Gründen, danach absolvierte sie verschiedene Tätigkeiten, u. a. arbeitete sie im Rahmen der evangelischen Kirche sowie an der VHS Prenzlauer Berg. Sie war Mitverfasserin der Eingabe gegen das neue Wehrdienstgesetz der DDR (1982) und arbeitete aktive in der Ostberliner Gruppe "Frauen für den Frieden" mit. 1989/90 war sie Mitglied am Runden Tisch im Bezirk Friedrichshain, mit dem Schwerpunkt Bildungsfragen. Im März 1990 wurde sie in die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain gewählt. Ab September 1990 war sie Schulrätin in der Senatsverwaltung für Bildung, an der Außenstelle Friedrichshain-Kreuzberg, 2008 wechselte sie in die Schulinspektion Berlin. Seit Sommer 2018 ist sie im Ruhestand. Sie ist verheiratet und hat zwei Söhne.

 

 

19:00, Senatssaal, Hauptgebäude

 

Annett Gröschner und Lisa Lucassen stellen die Performance „Schubladen“ von She She Pop vor

In dem Projekt SCHUBLADEN begegnen Mitglieder von She She Pop (alle im Westen

aufgewachsen) einigen ost-sozialisierten Gegenspielerinnen auf der Bühne, um füreinander

ihre Schubladen zu öffnen. 20 Jahre nach der Wende nehmen sie sich vor, sich neu anzunähern. Dazu greifen die Performerinnen auf autobiografisches Material aus ihren „Schubladen“ zurück. Briefe, Tagebuch-Auszüge und andere Text-Dokumente werden grob chronologisch sortiert, ebenso wie das innere Bilderarchiv einer jeden und Musik. Die Erzählungen, aus denen unsere Leben bestehen, werden von den Performerinnen zu Themenfeldern kombiniert und verlesen, der Soundtrack dazu abgespielt. Fragen des Gegenübers müssen nach bestem Wissen beantwortet werden, ohne Rückgriff auf objektive, verlässliche Quellen. Eine vielstimmige und zutiefst subjektive Chronik der ost-westdeutschen Geschichte wird live erzählt, mit privaten oder öffentlich zugänglichen Textquellen belegt, aus der Erinnerung referiert, entlang oder entgegen der großen Weltanschauungen. Als Paare sitzen sich die 6 Performerinnen an Tischen gegenüber in einem Raum, der sowohl Archiv wie auch Freizeitheim ist. Und ähnlich wie im Gemeinschaftsraum eines Erholungsheims müssen sich diese Paare miteinander bekannt machen. Sie werden versuchen, einander besser zu verstehen und sich dabei gegenseitig herausfordern mit dem Ziel, letztlich und endlich eine richtige Beziehung einzugehen. „Wiedervereinigung“ wird in SCHUBLADEN als Beziehungsarbeit gedacht. Sie wird hier nachträglich und live für 3 Ost-West-Paare zur konkreten Aufgabe auf der Bühne. Wer bist

du? Wie bist Du die Frau geworden, als die du mir heute gegenübersitzt? Und wie in jeder schlechten oder guten Beziehung spielen Missverständnisse und Projektionen eine entscheidende Rolle. Die Performerinnen werden versuchen, ehrlich das Maß an Nähe aufzuzeigen, das zwischen ihnen möglich ist. Die Bühne wird zum Ort für einen utopischen

Dialog. She She Pop und ihre Ost-Kolleginnen bekennen sich zur Vielstimmigkeit, zur kollektiven Erzählung. Die Lücken, Ungenauigkeiten und fehlenden Verbindungen gehören mit zum System. Wer waren wir? Wer sind wir? Warum sind wir so geworden?

 

Kurzbiographie

Lisa Lucassen und Annett Gröschner sind zwei Spielerinnen von Schubladen. Lisa Lucassen ist Mitglied bei She She Pop und westsozialisiert, Annett Gröschner ist Gastperformerin und in der DDR aufgewachsen. An diesem Abend erzählen sie über das Projekt und seine Rezeption, zeigen Videoausschnitte der Performance und spielen einige Szenen live: "Stop. Erkläre!“

 

 

Begleitprogramm

 

„Sibylle und die anderen. Wie emanzipiert war das Frauenbild in der DDR?“

Ergebnisse einer Lehrforschung am Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena unter der Leitung von Prof. Sylka Scholz

 

Die „Sibylle“ war eine renommierte Zeitschrift für Mode und Kultur, die von 1956 bis zum Ende der DDR und darüber hinaus (1995) sechsmal im Jahr erschien. Offiziell gab es eigentlich keine Mode, die Kleidung im Sozialismus sollte praktisch sein, damit die Frau ihre vielen Aufgaben bewältigen kann. Modische oder gar erotische Garderobe war in der DDR verpönt. Ein kapitalistischer Markt mit schnell wechselnden Moden galt als negativer Horizont, von dem sich die sozialistische Bekleidungsindustrie positiv abgrenzen sollte. Die Aufgabe der zum Modeinstitut der DDR gehörenden Zeitschrift war es nicht nur, die DDR-Frauen über die sozialistische Mode zu informieren, sondern auch ein neues sozialistisches Frauenbild zu kreieren. In einer einjährigen Lehrforschung (April 2018 – März 2019) untersuchten Student*innen, wie dieses neue Frauenbild aussah. Als Ausgangpunkt diente uns eine Fotografie von Arno Fischer in der Serie Herbstmoden in Berlin (1962). Es zeigt eine junge Frau in einem praktischen, schicken, aber nicht zu modischen Fischgratmantel vor einem Gasometer. Sie läuft dynamisch auf den/die Betrachter*in zu, schaut ihn/ sie jedoch nicht an. Sie wurde zur Ikone der DDR-Modefotografie und der sozialistischen Frau. Erforscht haben wir: In welchem Verhältnis stand dieses Frauenbild zum offiziellen Leitbild der berufstätigen Mutter? Wie entwickelte es sich weiter? Wie prüde oder erotisch war es? Die Redaktion der Zeitschrift verstand sich als ein Ort für weibliche Kreativität, Individualität und leisen Protest. Wie sah dieser Protest aus? Diesen Fragen wurde mit Hilfe der Methode der qualitativen Bildanalyse nachgegangen und über 100 Fotos einer differenzierten Analyse unterzogen. Auf sieben Postern werden die Ergebnisse der Lehrforschung vorgestellt.

 

Kurzbiographien

Katharina Babisch, Nora Bibbert, Sarah Dähn, Lena Ebersbach, Lena Fickenwirth, Julia Groß, Alena Karstädt, Lea Lackner, Anna Möckel, Annika Marie Rudolph, Lucy Schröter, Jonas Teschner, Daniela Vogler, Julia Zalevska und Elisabeth Zettel studieren Soziologie im Bachelor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Bis auf zwei Studierende sind sie im Osten Deutschlands aufgewachsen und waren daran interessiert, mehr über die DDR und auch die Geschichte ihrer Eltern zu erfahren. Die meisten von ihnen haben mittlerweile ihr Bachelorstudium mit einer Arbeit in Geschlechtersoziologie abgeschlossen, ein Masterstudium in Jena begonnen oder sind an andere Studienorte gezogen.

Sylka Scholz ist seit 2014 Professorin für Qualitative Methoden und Mikrosoziologie am Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Sie erlernte in der DDR den Beruf einer Fachverkäuferin und absolvierte ein Fachschulstudium. Nach der politischen Wende studierte sie an der Humboldt-Universität Berlin Kulturwissenschaft und Soziologie und schlug anschließend eine akademische Laufbahn ein. Sie forscht in den Bereichen Geschlechtersoziologie und Familiensoziologie mit unterschiedlichen qualitativen Methoden. Einen wichtigen Schwerpunkt bildet die Männlichkeitsforschung. So promovierte sie mit einer biografischen Studie über die Folgen des Umbruchs des Erwerbssystems für die Identitäten ostdeutscher Männer (Männlichkeit erzählen. Lebensgeschichtliche Identitätskonstruktionen ostdeutscher Männer, Münster 2004). Systematisch erforschte sie die Transformation von Männlichkeiten in den vergangenen dreißig Jahren in einem ost-west-deutschen Vergleich (Männlichkeitssoziologie. Studien aus den sozialen Feldern Arbeit, Politik und Militär im vereinten Deutschland Münster 2012). Dabei spielt auch die Analyse der osteuropäischen Geschlechterverhältnisse eine wichtige Rolle (Postsozialistische Männlichkeiten in einer globalisierten Welt, Münster 2008). Ihre neueste Publikation widmet sich dem Thema Caring Masculinities? Männlichkeiten in der Transformation in kapitalistischen Wachstumsgesellschaften (München 2019, mit Andreas Heilmann).