Humboldt-Universität zu Berlin - Geschlecht als Wissenskategorie

Forschungsprogramm

Wie schreibt sich Geschlecht in die Formierung moderner Disziplinen ein? Und wie prägen geschlechtliche Vorstellungen unser alltägliches Wissen, werden unsichtbar, objektiviert und zur wis- senschaftlichen Tatsache?

Das Berliner Graduiertenkolleg hat sich mit der Relevanz von Geschlecht für die Produktion wissenschaftlichen Wissens befasst. Die Frage nach der Bedeutung von Geschlecht für die wissenschaftliche Begriffsbildung und die Herausbildung von Wissensordnungen war Ausgangspunkt der Analysen. Dabei galt es, die Frage nach dem Zusammenhang von Geschlecht und Wissen nicht vorschnell mit der heuristischen Trennung zwischen biologischem (sex) und kulturellem Geschlecht (gender) zu beantworten. Der zentrale Forschungsfokus des Kollegs richtete sich vielmehr auf die zahlreichen Querverbindungen, die zwischen den physiologischen und den kulturellen, historisch und sozial gewachsenen Geschlechtervorstellungen bestehen. Ohne eine Berücksichtigung der in die Wissensgeschichte eingelagerten Geschlechterbilder und -codierungen lässt sich weder eine Wissenschaftsgeschichte noch eine Geschlechtergeschichte der Moderne überzeugend erzählen.
Das Kolleg versammelte Disziplinen, in denen die Geschlechterforschung einerseits in relevantem Maße verankert ist und die andererseits wissenschaftshistorische und wissenssoziologische Kompetenzen bereitstellen: nämlich die kultur- und literaturwissenschaftlichen Fächer, die Allgemeine Sprachwissenschaft, die Geschichtswissenschaften, die Europäische Ethnologie, die Medizin, die Medizingeschichte, die Sozialwissenschaften, die Pädagogik, die Theologie/Religionswissenschaft, die Rechtswissenschaft und die Wirtschaftswissenschaften.

Das Graduiertenkolleg sieht sich damit in der Tradition jener Wissenschaftler_innen, die vor mehr als hundert Jahren den damaligen Berliner Wissenschaftsbetrieb revolutioniert haben: mit den Pionieren der Sexualwissenschaft, den Forschungen von Georg Simmel oder der Einrichtung des ersten psychoanalytischen Instituts. Als einzige Einrichtung der reichen Wissenschaftslandschaft Berlins versammelte das Kolleg jene kritischen Ansätze, die der Frage nach dem Verhältnis von Wissen, Wissenschaft und Geschlecht nachgehen.